

Dieser Artikel ist aus dem Buch »Wir machen die Sachen die nimmer vergehen« S.138 von Alfred Schulte, dem
ersten Leiter der Forschungsstelle Papiergeschichte. Bearbeitet von Frau Toni Schulte. Erschienen 1955 im Industrie-Verlag Wiesbaden.
Alfred Schulte 1900 - 1944
Der "arme" Erfinder des Holzschliffs und der "reiche" Fabrikant
Wir sind es gewohnt, daß Dichter, Schriftsteller und Verfasser von Filmdrehbüchern, sich bei Behandlung ihrer Themen nicht an die geschichtliche Wahrheit halten. Es ist in gewissem Sinne
verständlich, aber es ist verwerflich, wenn dadurch falsche Vorstellungen in weiten Kreisen verbreitet werden. So ist es auch mit dem Erfinder des Holzschliffs, dem "armen Fabrikarbeiter"
Friedrich Gottlob Keller, der "arm wie eine Kirchenmaus" "im Elend" gestorben ist, während "der reiche Fabrikant" hohnlachend nur die Gewinne einzustreichen braucht und ein sorgenloses Leben führt.
Das mag alte Jungfern zu Tränen rühren, hat aber nichts mit der Wahrheit zu tun. Es liegt darin sogar ein schwerer Vorwurf gegenüber der Papierindustrie, daß sie einen verdienten Mann
hätte verkommen lassen, ohne sich um ihn zu kümmern. Wie war es in Wirklichkeit? Keller war nicht Fabrikarbeiter, sondern Sohn eines selbständigen Webermeisters und Blattbinders,
dessen Handwerk er ebenfalls erlernte und ausübte; daneben beschäftigte er sich zeitlebens mit allerlei Erfindungen, darunter der Herstellung von Holzschliff. Genaues erzählt darüber
Carl Hofmann im zweiten Band seines "Handbuch der Papierfabrikation" (2. Auflage 1897) auf Grund verschiedener Besuche bei Keller. Als Keller die Erfindung nicht für die Praxis
vervollkommnen und die Patentgebühren nicht zahlen konnte, hat Direktor Völter der Bautzener Papierfabriken sie übernommen und in langjähriger Arbeit zum Erfolg geführt. Was hat Keller
dafür bekommen? Zunächst bei Vertragsabschluß 1846 den ausgemachten Betrag von 150 Thaler (= 450 Mark), dann nach Bewährung des Verfahrens weitere 400 Thaler (1200 Mark).
Als er 1870 in Schwierigkeiten kam, erhielt er 4800 Mark auf Grund einer Sammlung; die von der Dresdener und der Thodeschen Papierfabrik ausging. Bei Erlöschen des Patents
in den Vereinigten Staaten erhielt er einen Betrag von 12000 Mark, wofür er sich Haus und Grund in Krippen kaufte und dort seine mechanische Werkstätte betrieb. Im Jahre 1881
wurde Keller auf der Generalversammlung des Vereins Deutscher Holzstoff-Fabrikanten zum Ehrenmitglied ernannt und ihm eine silberne mit Goldstücken gefüllte Dose überreicht
(etwa 3000 Mark). Als er 1892 wieder in finanzielle Schwierigkeiten kam, erhielt er auf Grund von Aufrufen Carl Hofmanns (Papierzeitung) aus Spenden von Papierfabriken abermals
einen Betrag, diesmal 20637,90 Mark, als Ehrengabe. Es wurde Vorsorge getroffen, daß dies Geld nicht für Versuche und Erfindungen verwendet, sondern ausschließlich Keller persönlich
auf seine alten Tage zugute kam. Keller hat alle diese Spenden ohne irgendwelche spätere Gegenleistung erhalten, rein als Anerkennung seiner Verdienste um die Erfindung des Holzschliffs.
Die Auswertung der Erfindung war von 1846 ab rein das Werk Völters, der in langjähriger mühevoller, kostspieliger Arbeit der Erfindung Kellers zum Siege verhalf. Keller hat das auch immer
anerkannt. Völter hat von 1846 ab allein die Patentgebühren in den zahlreichen Ländern getragen. Er hat 1852 im eigenen Betrieb die ersten beiden Holzschleifer für dauernden Betrieb in Gang
gebracht, 1854 den ersten an eine andere Fabrik geliefert, 1855 den zweiten, erst 1856 folgten mehrere, also volle zehn Jahre nach Übernahme des Patentes. Erst nach weiteren zehn Jahren konnte
man von der erfolgreichen Lösung des Problems sprechen und Völter konnte dann auch den verdienten finanziellen Erfolg seiner langjährigen Mühen sehen. Allerdings hatte er dies nur seinen
Leistungen und seiner Tüchtigkeit zuzuschreiben, klingende Ehrengaben hat er nie erhalten.
Es ist also nichts mit dem "armen" Erfinder nach Schema F und wir wollen uns lieber einprägen,
wie die Verhältnisse wirklich gewesen sind, und wollen hoffen, daß auch die Schriftsteller einsehen werden, daß sie den Helden ihrer Darstellungen und uns allen einen besseren Dienst erweisen,
wenn sie sich an die geschichtlichen Tatsachen halten; für die Fantasie bleibt dann immer noch Spielraum genug.
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